Vom Arbeiterkind zum Luxus-Genie: Die unglaubliche Geschichte des Rolls-Royce-Gründers Henry Royce

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Vom Arbeiterkind zum Luxus-Genie: Die unglaubliche Geschichte des Rolls-Royce-Gründers Henry Royce

Henry Royce verkaufte mit zehn Jahren Zeitungen und schlief gelegentlich in einem Hundezwinger, um nicht zu erfrieren. Dreißig Jahre später war er Mitbegründer einer Automarke, die zum Synonym für absoluten Luxus wurde.

Ein Leben zwischen Hunger und Hoffnung

Frederick Henry Royce wurde am 27. März 1863 in ärmlichsten Verhältnissen geboren. Sein Vater, ein ehemaliger Müller, konnte die Familie kaum ernähren. Die Lage spitzte sich zu, als der Vater 1872 an Hodgkin-Krankheit starb – in einem öffentlichen Armenhaus in Greenwich.

Der neunjährige Henry war plötzlich auf sich allein gestellt. Seine Schulbildung umfasste zu diesem Zeitpunkt gerade ein Jahr in der örtlichen Schule. In London angekommen, wo er zeitweise bei einer älteren Familie lebte, sah sein Alltag oft so aus: “Meine Nahrung für den Tag bestand oft aus zwei dicken Brotscheiben, die in Milch getränkt waren”.

In besonders kalten Nächten schlief er mit einem Hund in dessen Hundehütte, um nicht zu erfrieren.

Die Lehrjahre: Von der Zeitung zum Strom

Mit zehn Jahren begann Royce, Zeitungen am Bahnhof zu verkaufen. Mit 13 wechselte er zum Telegrafenamt, wo er für jeden Zustellauftrag einen halben Penny erhielt. Diese karge Existenz änderte sich erst 1878, als eine großzügige Tante für ihn eine Lehrstelle bei der Great Northern Railway in Peterborough sicherte – gegen eine Zahlung von 20 Pfund pro Jahr.

Um seine Lebenshaltungskosten zu decken, verkaufte Royce weiterhin Zeitungen. In Abendkursen eignete er sich selbst Mathematik und technisches Wissen an, um seinen Mangel an formaler Bildung auszugleichen. Doch 1880 war das Geld der Tante aufgebraucht, und die Ausbildung endete vorzeitig.

Royce zog nach London, wo er bei der Electric Light and Power Company eine Stelle als Tester fand – obwohl er keinerlei praktische Erfahrung im Elektrobereich hatte. Sein Gehalt verdoppelte sich auf 22 Schilling pro Woche, aber er arbeitete weiterhin extrem lange Stunden und vernachlässigte seine Ernährung.

Sein Wissensdurst trieb ihn zu Abendkursen am City and Guilds Institute, wo er unter anderem vom angesehenen Physiker William Edward Ayrton unterrichtet wurde.

Die Gründung: 70 Pfund und eine Vision

1884 erlebte Royce einen herben Rückschlag: Die Firma in Liverpool, bei der er inzwischen als Chefingenieur arbeitete, ging bankrott. Diese Erfahrung führte zu einem entscheidenden Entschluss: Nie wieder wollte er von der Gnade eines Arbeitgebers abhängig sein.

Mit gerade einmal 21 Jahren und Ersparnissen von 20 Pfund wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit. Zusammen mit seinem Freund Ernest Claremont, der 50 Pfund beisteuerte, gründete er F.H. Royce and Company in Manchester. Das Startkapital von insgesamt 70 Pfund entspricht heute etwa 20.000 Schweizer Franken.

  • Die ersten Jahre: Die Partner lebten in einem gemeinsamen Raum über der Werkstatt und ernährten sich von Sandwiches und Würsten. Sie fertigten zunächst elektrische Klingeln und Beleuchtungskomponenten, übernahmen aber jede erdenkliche Ingenieursarbeit, um über die Runden zu kommen.
  • Der Aufstieg: Mit der zunehmenden Verbreitung der Elektrizität ab 1889 wuchs das Unternehmen stetig. Royce arbeitete oft 18 bis 20 Stunden pro Tag. 1894, als Royce 31 Jahre alt war, wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt: Royce Ltd.

Das Unternehmen spezialisierte sich auf Elektro- und Maschinenbau sowie die Herstellung von Dynamos, Motoren und verwandten Artikeln. Royces Arbeiten zeichneten sich von Anfang an durch Präzision, Sorgfalt und handwerkliche Kunstfertigkeit aus. Akademische Qualifikationen spielten keine Rolle – die brillanten Leistungen des Unternehmens sprachen für sich.

Der Wendepunkt: Ein miserables Auto ändert alles

Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte Royce eine Neuigkeit, die sein Leben für immer verändern sollte: das Automobil. Neugierig geworden, kaufte er einen gebrauchten französischen Decauville mit 10 PS.

Das Fahrzeug enttäuschte ihn zutiefst: Es startete schwer, überhitzte regelmäßig, lief unruhig und war insgesamt unzuverlässig. Besonders die “hoffnungslos unbrauchbare Zündanlage” ärgerte den Elektrofachmann Royce.

Getreu seinem Lebensmotto “Strebe nach Perfektion in allem, was du tust” beschloss Royce, ein besseres Fahrzeug zu entwerfen und zu bauen. Mit zwei Lehrlingen schaffte er sich in seiner Fabrik Platz und begann, an einem selbst entworfenen Automobil zu arbeiten.

Am 1. April 1904 unternahm Royce die erste Testfahrt mit seinem Prototyp – eine 50-Kilometer-Rundfahrt von seiner Fabrik in Manchester zu seinem Wohnhaus in Knutsford und zurück. Das Auto funktionierte einwandfrei.

Die schicksalhafte Begegnung: Royce trifft Rolls

Einer der drei Prototypen ging an Henry Edmunds, einen Großaktionär von Royce Ltd. Edmunds, begeistert von dem Fahrzeug, sprach mit seinem Freund Charles Rolls darüber – einem jungen Aristokraten und Inhaber einer der ersten Autohandlungen Großbritanniens.

Rolls, Sohn eines Barons und Cambridge-Absolvent, suchte verzweifelt nach einem hochwertigen britischen Auto für sein Fulhamer Autohaus. Die damals verfügbaren Fahrzeuge entsprachen nicht seinen hohen Qualitätsansprüchen.

Am 4. Mai 1904 trafen sich die beiden Männer im Midland Hotel in Manchester. Obwohl Rolls eigentlich drei- oder vierzylindrige Autos bevorzugte, war er von Royces Zweizylinder-Fahrzeug beeindruckt. Noch am selben Tag erklärte er, dass er jedes Auto verkaufen würde, das Royce bauen konnte.

Diese Begegnung zwischen dem aus ärmsten Verhältnissen stammenden Ingenieur und dem wohlhabenden Aristokraten markierte die Geburtsstunde einer Legende.

Die Geburt einer Legende: Von der Idee zur Ikone

Am 23. Dezember 1904 wurde vertraglich fixiert, was bereits monatelang per Handschlag praktiziert worden war: C.S. Rolls & Co. erhielt die Alleinverkaufsrechte für alle Fahrzeuge von Royce Ltd., die unter dem Namen Rolls-Royce verkauft werden sollten.

Die neue Partnerschaft war perfekt aufeinander abgestimmt:

  • Royce brachte die technische Expertise, den Perfektionismus und das ingenieurwissenschaftliche Genie ein
  • Rolls steuerte finanzielle Mittel, Geschäftssinn und ein ausgezeichnetes Netzwerk in Politik, Industrie und Aristokratie bei

Am 15. März 1906 fusionierten die Unternehmen offiziell zur Rolls-Royce Limited. Das Unternehmen begann mit einem Kapital von 60.000 Pfund.

Der Silver Ghost: Die Bestätigung des Genies

1907 präsentierte Rolls-Royce ein Fahrzeug, das den Ruf der Marke für Generationen zementieren sollte: den 40/50 HP, besser bekannt als Silver Ghost.

Claude Johnson, der erste Commercial Managing Director des Unternehmens, ließ ein frühes Exemplar in Silber lackieren und gab ihm den Namen “Silver Ghost”. Das Auto bewies seine außergewöhnliche Zuverlässigkeit bei einem spektakulären Test: Es fuhr 15.000 Meilen ohne nennenswerte Probleme – eine beispiellose Leistung für die damalige Zeit.

Der Silver Ghost etablierte Rolls-Royce endgültig als “das beste Auto der Welt” – ein Titel, den die Marke bis heute beansprucht.

Das Vermächtnis: Vom Zeitungsjungen zum Industriekapitän

Henry Royce’ Gesundheit litt unter jahrzehntelanger Überarbeitung. 1911 erlitt er einen gesundheitlichen Zusammenbruch und verlegte seinen Wohnsitz in den Süden Englands und später nach Südfrankreich. Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit arbeitete er bis zu seinem Tod am 22. April 1933 unermüdlich weiter.

Sein Einfluss auf das Unternehmen war so tiefgreifend, dass er bis zu seinem Tod den ersten Entwurf für jedes mechanische Teil in jedem Rolls-Royce-Auto persönlich erstellte. Royce war ein instinktiver Ingenieur mit einer unheimlichen Fähigkeit, Bauteile rein optisch zu beurteilen.

Was Royce und Rolls in nur sechs Jahren gemeinsamer Arbeit schufen, überdauerte beide Gründer bei weitem. Heute, mehr als ein Jahrhundert später, steht Rolls-Royce immer noch für handwerkliche Perfektion, technische Brillanz und unübertroffenen Luxus.

Der Junge, der einst in einer Hundehütte schlief, um nicht zu erfrieren, hatte nicht nur sein eigenes Schicksal verändert, sondern die Welt des Automobils für immer geprägt. Sein Leben beweist, dass Herkunft nicht über Bestimmung entscheidet – dass Leidenschaft, Hingabe und die Weigerung, Mittelmaß zu akzeptieren, selbst die unglaublichsten Träume verwirklichen können.

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