Gemeinsame Mobilität: Reisen für alle erleichtern

Lifestyle3 weeks ago59 Views

Carsharing, Bikesharing und ähnliche Angebote sind zwar gut für die Umwelt, doch der Zugang ist nicht überall gleich. Was kann getan werden, um allen mehr Transportmöglichkeiten zu bieten?

Von Kaja Šeruga 14.04.2025

Wenn man durch die meisten großen Metropolen Europas und der USA geht, könnte man meinen, wir lebten in einer schönen neuen Welt erschwinglicher und müheloser Mobilität für alle, in der das Smartphone in der Tasche ein Portal zu einer Fülle von gemeinsam nutzbaren E-Scootern, Fahrrädern und Elektroautos ist und ein Uber oder Lyft nie weiter als fünf Minuten entfernt ist.

Aber wenn man behindert oder älter ist, in einer ärmeren Gegend lebt oder – stell dir vor! – kein Smartphone oder keine Kreditkarte besitzt, gestaltet sich die Nutzung dieser Shared-Mobility-Dienste deutlich schwieriger. Sie konzentrieren sich meist in wohlhabenderen Stadtgebieten und sind oft für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder für Reisende mit Kleinkindern, die Kindersitze benötigen, unzugänglich. Teilweise aufgrund dieser Faktoren sind die Nutzer überproportional jünger, wohlhabender, körperlich fit, weiß und männlich.

Shared Mobility könnte ein wichtiger Bestandteil eines nachhaltigeren Verkehrssystems sein. Um jedoch optimal zu sein, muss es alle einbeziehen. Kommerzielle Anbieter von Shared Mobility haben dies bisher kaum erreicht. Verschiedene Initiativen und Projekte finden jedoch kreative Lösungen, um unterversorgte Gemeinden zu erreichen.

Die potenziellen Vorteile sind groß. On-Demand-Shared-Mobility, die in gut ausgebaute öffentliche Verkehrssysteme integriert ist, könnte die Anzahl der Fahrzeuge in manchen Städten um 90 Prozent reduzieren und die Verkehrsemissionen um 50 Prozent senken – allerdings nur, wenn sie die Nutzung privater Pkw weitgehend ersetzt. „Das Auto muss ein Gast sein, nicht der Hauptakteur“, sagt Luis Martinez, leitender Modellierer beim International Transport Forum und Mitautor eines Papiers zu Shared Mobility und Nachhaltigkeit im Annual Review of Environment and Resources 2024 .

Das Erreichen dieses Ziels wird eine Herausforderung sein, insbesondere in den Entwicklungsländern, wo die Menschen 61 Prozent ihrer Kilometer mit dem Privatauto zurücklegen. Um mehr Menschen vom Privatauto auf gemeinsam genutzte Fahrzeuge umzustellen, ist die Ausweitung des Zugangs für einen größeren Teil der Bevölkerung ein wichtiger erster Schritt, so Forscher, da viele Menschen heute noch davon ausgeschlossen sind.

Eine Studie aus dem Jahr 2019 in zehn US-Städten ergab beispielsweise, dass weiße Amerikaner im Umkreis von einer halben Meile fast dreimal so viele Carsharing-Standorte und doppelt so viele Bikesharing-Standorte haben wie Afroamerikaner. Wenn Afroamerikaner von zu Hause aus eine Fahrt bestellen, warten sie zudem bis zu 22 Prozent länger auf die Fahrt.

Doch selbst wenn man versucht, das Angebot auf unterversorgte Stadtgebiete auszuweiten, bleiben andere Hürden bestehen. Ein Fünftel der einkommensschwachen Amerikaner besitzt noch immer kein Smartphone und fast ein Viertel kein Bankkonto – beides Voraussetzungen für die Nutzung der meisten dieser Dienste. Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 in Philadelphia, Chicago und Brooklyn ergab, dass einkommensschwache Farbige genauso an Bikesharing interessiert sind wie andere Gruppen, ein solches System aber seltener nutzen: Während 10 Prozent der einkommensstärkeren weißen Einwohner und 5 Prozent der einkommensstärkeren farbigen Einwohner einem Bikesharing-System angeschlossen waren, waren es unter den einkommensschwächeren Einwohnern nur 2 Prozent.

48 Prozent der farbigen Einwohner mit niedrigem Einkommen nannten die Kosten als großes Hindernis. Ein Drittel der Befragten schreckte zudem aufgrund mangelnder Kenntnisse des Bikesharing-Systems ab.

Wie lässt sich diese Lücke in der Barrierefreiheit schließen? Ein grundlegendes Problem, so Martinez, besteht darin, dass „private Unternehmen immer dorthin gehen, wo das Geld ist“. Es überrascht daher nicht, dass öffentliche Einrichtungen einspringen. Einige Städte in den USA haben beispielsweise Subventionsprogramme für Einwohner mit niedrigem Einkommen aufgelegt , die vielversprechend sind, um die Nutzung gemeinsam genutzter Mobilität zu erhöhen und gleichzeitig die Nutzung privater Fahrzeuge zu verringern. Eine Umfrage unter fast 250 Fahrrad- und E-Scooter-Sharing-Programmen in den USA im Jahr 2024 ergab, dass 70 Prozent Schritte unternommen hatten, um unterversorgte Gruppen zu erreichen , wobei Maßnahmen wie Barzahlung und Optionen ohne Smartphone zu den beliebtesten gehörten.

Auch Nichtregierungsorganisationen füllen diese Lücke. Ein Beispiel ist ein Programm der gemeinnützigen Organisation Shared Mobility Inc. in Buffalo, New York. Im Sommer 2020 befand sich die Organisation plötzlich im Besitz von 3.000 Elektrofahrrädern – einem Teil der Flotte, die Uber Anfang des Jahres beim Verkauf seines Bikesharing-Geschäfts verschrottet hatte.

„Das Modell der E-Bike-Bibliothek entstand daraus“, erklärt Shane Paul, der die Initiative leitet und gemeindenahen Organisationen beim Aufbau von E-Bike-Bibliotheken für unterversorgte Bevölkerungsgruppen hilft. An ihrem ersten Standort in einer Verkehrswüste an Buffalos East Side fuhren 71 Prozent der Mitglieder zum ersten Mal ein E-Bike, und 84 Prozent gaben an, nicht farbig zu sein.

Leih-E-Bikes gelten als besonders vielversprechender Ersatz für Autos in städtischen Gebieten. Einem Bericht zufolge könnten durch die Umstellung auf E-Bikes acht Millionen Autos von den US-Straßen verschwinden . E-Bike-Bibliotheken überwinden verschiedene Hindernisse: Die Fahrräder sind kostenlos und die Bibliotheken befinden sich an Orten, die bereits ein wichtiger Bestandteil der Gemeinschaft sind. Neben der Wartung der Fahrräder organisieren die Programme auch Schulungen, Gruppenfahrten und Bildungsveranstaltungen, um die Menschen mit der Fahrradkultur und -sicherheit vertraut zu machen.

„Es kann etwas so Einfaches sein, wie sicherzustellen, dass man sein Fahrrad abschließt“, sagt Paul. „Solche Programme bieten den Menschen die Möglichkeit, diese Fähigkeiten zu erlernen.“

Persönlicher Austausch und erschwingliche Preise sind auch für Mobitwin wichtig, einen sozialen Fahrdienst für ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen. Der von der belgischen Mobilitätsorganisation Mpact gegründete Dienst ermöglicht es älteren Menschen, gegen eine geringe Gebühr eine Mitfahrgelegenheit von einem Freiwilligen anzufordern. Das Programm besteht seit den 1980er Jahren und wird derzeit von rund 40.000 Menschen in Belgien genutzt.

Die Möglichkeit, sich zu bewegen, ist ein entscheidender Teil der gesellschaftlichen Teilhabe. Eingeschränkte Mobilität im Alter geht jedoch mit sozialer Isolation und Einsamkeit einher, sagt Esen Köse, Projektmanagerin bei Mpact. „Wir möchten sicherstellen, dass Menschen, die oft nicht in den gesellschaftlichen Kreislauf von Arbeit oder Schule eingebunden sind und tatsächlich oft außen vor bleiben, dennoch die Möglichkeit haben, das Haus zu verlassen und einfache alltägliche Dinge zu erledigen, wie zum Beispiel einkaufen, zum Friseur oder Familienbesuche.“

Der Buchungsprozess läuft nach wie vor hauptsächlich telefonisch ab – ein kürzlicher Versuch, auf eine App umzusteigen, erwies sich für ältere Nutzer als ungeeignet und wurde nie umgesetzt. Mangelnde digitale Kompetenz sei ein Problem, aber die Mitglieder möchten auch nicht auf die soziale Verbindung verzichten, die durch einen Anruf beim Betreiber und eine Fahrtanfrage entsteht, sagt Köse. Um erfolgreiche Programme zu entwickeln, bedarf es nicht nur neuester Technologie oder Trends im Bereich der gemeinsamen Mobilität, fügt sie hinzu. „Es geht wirklich darum: ‚Okay, was sind die Bedürfnisse der Menschen?‘“

Tim, ein Carsharing-Dienst der österreichischen Stadt Graz, bietet neben seiner App auch ein Buchungssystem per E-Mail und Telefon an. „Senioren können oft auch gut mit dem Handy umgehen“, sagt Katharina Mayer, Leiterin des Dienstes. „Manche aber auch nicht, deshalb bieten wir die nötige Unterstützung.“

Der Service hat seine Flotte kürzlich um ein rollstuhlgerechtes Fahrzeug erweitert und konzentriert sich darauf, den Service für Frauen zu optimieren. Im Jahr 2024 waren nur 39 Prozent der tim-Carsharing-Nutzer Frauen. Kundenzufriedenheitsumfragen zeigten, dass der Mangel an Kindersitzen einer der Gründe dafür war. Daher hat tim alle Autos mit Sitzerhöhungen ausgestattet. Für jüngere Kinder sind auf Anfrage kostenlos Sitze erhältlich. Eine für Ende des Jahres geplante Umfrage soll die Auswirkungen dieser Änderung messen. Doch bereits jetzt, so Mayer, rufen Neukunden an und fragen nach, ob Kindersitze verfügbar sind.

Auch das Mobilitätsverhalten von Frauen unterscheidet sich von dem der Männer. Dies liegt unter anderem daran, dass Frauen dazu neigen, mehrere kurze Fahrten zu einer einzigen zu kombinieren, beispielsweise um Lebensmittel einzukaufen und die Kinder auf dem Heimweg von der Arbeit abzuholen. „Das macht ihre Mobilität deutlich komplexer“, sagt Lina Mosshammer, Gründerin und Geschäftsführerin des österreichischen Mobilitätsberatungsunternehmens Point&. Da Shared-Mobility-Lösungen in der Regel nach Dauer, Entfernung oder beidem abgerechnet werden, sind sie durch die Fahrtenverkettung teurer. Zudem sind die meisten Dienste nicht auf Kleinkinder zugeschnitten.

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Kleine Verbesserungen wie die Anpassung des Griffdesigns von E-Scootern an die oft kleineren Hände von Frauen, das Angebot von Familienkonten oder günstigeren Tarifen für Fahrtunterbrechungen können den Bedürfnissen von Pflegekräften entgegenkommen, so Mosshammer. Kostenlose Helme und SOS-Tasten an Fahrrädern und E-Scootern könnten ebenfalls dazu beitragen, deren Sicherheitsbedenken zu berücksichtigen. Wenn Mobilitätsunternehmen mehr Frauen in Führungspositionen und anderen Positionen haben, werden sie tendenziell auch mehr weibliche Nutzerinnen haben, fügt sie hinzu. „Man plant eher auf der Grundlage dessen, was man weiß. Deshalb ist es so wichtig, unterschiedliche Perspektiven in die Entwicklung von Mobilität einzubringen.“

Stationsbasierte Systeme – bei denen Autos an festen Standorten wie Bahnhöfen abgeholt und wieder abgesetzt werden, anstatt wie bei Free-Floating-Systemen auf der Straße stehen zu bleiben – können Frauen auch die Planung ihrer komplexen Transportbedürfnisse erleichtern. „Nehmen wir an, Sie müssen Ihr Kind jeden Donnerstag zum Geigenunterricht bringen. Sie können einen Monat im Voraus für jeden Donnerstag zwischen 14 und 16 Uhr ein Auto buchen und wissen, dass das Auto da sein wird“, sagt Mayer.

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum sich die Stadt Graz für dieses Modell entschieden hat: Ein Free-Floating-System konkurriert mit dem öffentlichen Verkehr, während ein stationsbasiertes System diesen ergänzt. „Unser großes Ziel ist es, dass die Grazer ihr Auto verkaufen“, sagt Mayer. „Unsere Fahrzeuge müssen genügend Optionen bieten, um diesen Umstieg zu ermöglichen.“

Beitragsbild: von X AI alias Grok

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